gescheiterte Betrugsversuche und spannende Gespräche

In der Klassenarbeit sind sich zwei Arbeiten verdächtig ähnlich. Ich bitte die Schüler zum Gespräch, doch sie leugnen jedwege Zusammenarbeit. Da ich mir relativ sicher bin, spreche ich mich mit dem Abteilungsleiter ab und will nun einen der Prüflinge die Arbeit unangekündigt wiederholen lassen. Dazu möchte ich ihn aus dem Unterricht einer Kollegin herausholen. Ich klopfe, ein Schüler öffnet, die Klasse bricht in Gelächter aus. Ehe ich fragen kann, was los sei, werde ich von der Kollegin aus dem Raum gezogen. Aufgebracht sagt sie mir: „Ich möchte, dass du Louis sofort mitnimmst! Er hat mehrfach „Fotze“ gesagt, angebelich nicht zu mir, aber sowas will ich nicht in meinem Raum haben! Und ich hab auch gehört, dass er sowas gesagt hat wie „Ich kann ihre Fresse nicht mehr sehen, ich mach noch mal nen Anschlag auf sie.“ Ich gucke etwas erstaunt. Louis ist bekannt für unangemessene Ausbrüche, aber er hat bereits einen Verweis bekommen und in der letzten Zeit höre ich eigentlich nur positives über ihn. Der Rückfall ist überraschend. Ehe ich etwas über mein eigenes Anliegen loswerden kann, werde ich allerdings noch mit diversen Variationen der Schilderung und der Information, dass er heute sein Referat versäumt hat, versorgt. Dann ziehe ich also mit meinem Prüfling und Louis los.  Auf dem Weg zum Arbeitsraum höre ich mir dessen Sicht an. Er gibt freimütig die Nutzung des Schimpfwortes gegen eine Klassenkameradin zu. „Aber sie ist auch gleich zu Frau Lila gegangen und hat gesagt, dass das ein Spaß war. Aber die Lila hört ja nie zu. Ich kann die echt nicht mehr sehen.“ , stänkert er eine Weile vor sich hin. Ich höre es mir an, bis die Flut versiegt ist und frage ihn dann, wo sein gutes Verhalten der letzten Tage hin ist. Da die Wut nun verpufft ist, macht sich Verlegenheit breit. Er knetet nervös seine Mütze und gibt kleinlaut zu, dass er sich wohl dumm verhalten hat. Na, siehste, denke ich mir, dann ist das ja geregelt. Ich setze ihn an seine Mathehausaufgaben, die er eh nacharbeiten muss und arbeite den Rest der Stunde mit meinem Teamkollegen an der Bepunktung einer anderen Arbeit – denn dafür bin ich heute eigentlich in der Schule. Als es klingelt, lasse ich Louis in die Pause ziehen. Er ist keine drei Minuten weg, da stürmt die Kollegin Lila in den Raum. Sie möchte – verständlicherweise – den Vorfall besprechen. Ich versichere ihr, dass Louis sich seines Fehlers bewusst ist und dass ich sein Verhalten ebenfalls unangemessen finde. Sie beklagt sich, er würde in der Klasse ständig Stimmung gegen sie machen. Da ich meine Klasse kenne und wir so einen Vorfall schonmal hatten, verspreche ich ihr, dies im nächsten Klassenrat anzusprechen. Meine Klasse ist sehr sozial, wenn ein Lehrer beschuldigt wird, springen immer einige für den Kollegen in die Bresche und nach einer viertel Stunde ist meistens der Großteil der Klasse überzeugt, dass sie den Fehler wohl am falschen Ende gesucht haben. Dann schicken sie einen Vertreter zu einem klärenden Gespräch und alle Wogen glätten sich. Wie gesagt, eine Traumklasse. Kollegin Lila ist allerdings entsetzt von der Vorstellung, dass ich der Klasse Raum geben könnte, negative Äußerungen über sie laut auszusprechen. Eine Viertelstunde sagt sie immer wieder, dass ich das ja nicht machen könnte. Nach zehn Minuten habe ich das Gefühl, deutlich unerfahrerner als sie zu sein und irgendwas falsch zu machen. Dann erinnere ich mich an das letzte Gespräch mit meiner Klasse und beschließe, mich nicht von ihrem Misstrauen anstecken zu lassen. Ich schlage vor, dass wir ein persönliches Gespräch mit Louis führen, weil ich möchte, dass er sich bei ihr entschuldigt. Die Idee gefällt ihr. Einen Termin in der nächsten Woche geht aber gar nicht, so lange will sie nicht warten. Innerlich koche ich langsam. Ich bin hier für die andere Klausur, mein Teamkollege muss nachher weg. Dennoch stimme ich zu, das Gespräch nun gleich durchzuführen und hole dafür Louis aus dem nun folgenden Unterricht. (Danke, Frau Yellow, für das Verständnis – wo ist eigentlich Luc? Ach, er ist rausgeflogen, weil er auf dem Tisch eingeschlafen ist – was ist das denn für ein Tag heute…) Was folgt, ist eine höfliche Entschuldigung von Louis an sie und dann – eine halbe Stunde(!) – Gespräch, ob man am Unterricht etwas ändern müsse. In Erinnerung an Louis Geschimpfe, dass sie nie zuhöre, lausche ich interessiert und stelle mit leichtem Entsetzen fest, dass er nicht ganz unrecht hat. Mit den allerbesten Absichten führt sie ein fragend-entwickelndes Gespräch darüber, was sie denn wohl an ihm störe und was er so empfindet, wenn er sie sieht. Louis ist nicht immer der schnellste beim Denken und wann immer er stockend und stotternd ansetzt, seine Gedanken zu formulieren, unterbricht sie ihn nach wenigen Wörtern: „Ja, genau, unsere erste Begegnung in der Stunde ist schon unglücklich, weil ich dich immer auffordern muss, die Mütze abzusetzen… Ja, genau, ich habe oft das Gefühl, dass du gar keine Lust hast…“  Nebenbei fragt sie ihn über den aktuellen Stoff aus, den er natürlich nicht beherrscht („Ich glaube, mein Referatsthema ist Borsäure.“) und schaut mich jedesmal thriumphierend an, wenn er die Antwort nicht weiß. Im Grunde genommen hat er ja Mist gebaut, aber irgendwie schafft sie es, dass er mir nun echt leid tut, wie er sich da abmüht und einfach keinen Fuß auf den Boden bekommt. Nachdem sie alles losgeworden ist, was sie zu sagen hatte – inklusive der Drohung mit einer Anzeige wegen Beleidigung – frage ich daher erleichtert, ob er noch etwas sagen wolle und jubiliere innerlich über seine gute Taktik, nichts mehr zu wollen. Ein Blick auf die Uhr beendet dann das Gespräch abrupt – vor einer halben Stunde hätte mein Hundesitter von mir reingelassen werden müssen. Ich lasse die beiden stehen und laufe zum Telefon. Gottseidank hat er auch Verspätung. Der Tag kann nicht mehr chaotischer werden, sage ich ihm, als ich ihm dann 10 Minuten später den Hund übergebe. Leider geht’s ja immer irgendwie schlimmer. Die Bepunktung ist also endlich fertig und nun könnte ich also endlich (15:30) mit der Korrektur anfangen. Die Tür geht auf, unser zweiter Teamkollege Lehm kommt herein. „Ich habe eine schlechte Nachricht…“, beginnt er. Und erzählt dann: Die Klausur, die morgen in der Oberstufe in meinem und seinen Kurs geschrieben werden sollte, ist schon am Mittwoch im Kurs des Kollegen Meter geschrieben worden. Um seinen eigenen Kurs gut vorzubereiten, hatte er die fertige Klausur also am Mittwoch mit in den Unterricht genommen und grob angesagt, welche Themengebiete relevant seien. In einer perfekten Teamarbeit hat daraufhin eine Schülerin ihn aus dem Raum gelockt und eine zweite die Klausur vom Pult genommen, fotografiert und an alle Mitglieder seines und meines Kurses geschickt. Glücklicherweise gibt’s ja auch ehrliche Schüler  und so bekam er in einem privaten Gespräch einen Hinweis. Er ist stinksauer. Ich packe meine Korrekturen weg und mache mit ihm eine neue Klausur. Als ich nach 12 Stunden Arbeit um halb neun zuhause ankomme, ist irgendwie ein LKW über mich gefahren. Dabei wollte ich doch nur in Ruhe korrigieren! Am nächsten Tag erwische ich eine meine Schülerin mit der Komplettlösung der Meter-Klausur in meiner Arbeit. Der Abteilungsleiter freut sich ganz sarkastisch: „Super, dann gibt’s da halt eine Sechs und eine Konferenz. Solche Haltungen sollten sich gar nicht erst breit machen.“ Irgendwie tut mir die Schülerin leid – sie hätte das Spicken gar nicht nötig gehabt. Da sie allerdings nach Auffinden der ersten Seite Klausur die anderen nicht rausgerückt hat und ich diese dann während der Bearbeitung des zweitens Teils finden musste, hält sich mein Mitleid in Grenzen. Nur die Klassenlehrer beider Kurse tun mir wirklich leid, bei der Menge an pädagogischen Konferenzen, die da auf uns zu kommen. Wie gut, dass nun erstmal das Wochenende kommt – da kann ich dann endlich mal in Ruhe arbeiten!

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