Klassenlehrerdasein und der Optimismus

Als Klassenlehrerin muss man ja mehr machen als nur unterrichten. Man ist Berater, Seelsorger, Ansprechpartner, Abladeboard, Manager, Telefonist und so vieles mehr. Tatsache ist: Der Beruf wird nicht langweilig.Da meine Klasse im Praktikum ist, nehme ich mir die Zeit, eine Praktikantin einen Tag herum zu führen. Die ersten beiden Stunden ist sie mit mir in meiner Vorstufenklassen. Die Klasse benimmt sich wie immer bei Besuch vorbildlich. (Die können soooo lieb sein, wenn sie wollen! Und so aufmerksam!) Die Praktikantin half ihnen dann also bei der Arbeit, während ich die mündlichen Noten besprach. (Nein, Kevin, ich werde dir keine fünf geben. Wer in der Oberstufe 0,85 mal -1 nicht ohne Taschenrechner kann und auch sonst nur Blödsinn redet, bekommt für guten Willen keine fünf. Es ist mir auch egal, wie lieb du schaust, ich hab nen Hund und bin abgehärtet!) Mittendrin werfe ich ihr einen Blick zu, ob alles ok sei. Sie schaut mich mit panischem Blick an, bittet aber nicht um Hilfe. Später, als die Schüler raus sind, fragte ich sie: „Und, wie war’s?“ – „Das ist ja krass, was die alles nicht wissen!“ Ich könnt mich wegschmeißen vor Lachen. Sie hat es echt auf den Punkt gebracht! Danach haben wir zwei Freistunden. Ich bringe sie zu den Sonder- und Sozialpädagogen. Während ich warte, taucht eine Betreuerin mit einer Schülerin auf. Sie hat sich vor drei Tagen einen Ring aus Plastik angezogen und bekommt ihn nun nicht mehr ab. Der Finger ist bereits dick. Zum Arzt kann sie nicht, ihre Krankenkarte ist mit ihrer Mutter in Afrika. Der Vater ist unerreichbar. Seife und Öl helfen nicht. Ich schlage heißes Wasser vor, doch auch das hilft nicht. Also säge ich vorsichtig mit einem Messer am Ring herum und bete, dass es gut geht – wenn ich sie verletze, bin ich meinen Job los, denke ich, diese Hilfeleistung ist bestimmt sowas von illegal… Nachdem es mir gelungen ist, einen Teil der Schmuckschleife abzubrechen, übergebe ich das Messer an das junge Mädchen. Sie sägt vorsichtig herum und schwankt zwischen jammern („Es tut so weh! Ich hab Angst!“) und Hoffnung („Es ist schon halb durch! Bestimmt ist es schon gleich durch!“). Die Betreuerin schlägt eine Zange vom Hausmeister vor und bittet ihn um Hilfe. Gottseidank haben sie einen gut sortierten Werkzeugraum, in dem ich etwas passendes finden kann. Mit einem kleinen Seitenschneider, einigen Sekunden Hartherzigkeit und reichlich Mut gelingt es mir, den Ring aufzubrechen. Dankbarkeit und Freude bei allen Beteiligten sind ein schöner Lohn. Das Mädchen schwört: „Ich mach das nie wieder! Nie wieder billige Plastikringe!“ Das, denke ich, ist doch mal eine wirklich sinnvolle Sache, die sie da gelernt hat. Wie schön, dass Schule was mit Lebenswirklichkeit zu tun hat. Meine Praktikantin hingegen staunt weiter: „Das wird nie langweilig bei euch, oder?“ Nein, das wird es nie – und ich bin auch irgendwie ziemlich dankbar dafür.Was passiert einem alles als Klassenlehrerin? Schüler, die in der Schulzeit kiffen und denen dann so schlecht wird, dass der folgende Lehrer Verdacht schöpft. Schüler, die sich gegenseitig beschimpfen und als Petze bezeichnen, weil der jeweils andere bei der Befragung zum Vorfall (die identische) Aussage gemacht hat. Facebook-Attacken und Hacking. Schüler, die eben jenes Gras in der Schule dealen. Anzeigen wegen „übler Nachrede“. Eltern, die den Abteilungsleiter anbrüllen, weil sie einfach nicht einsehen, dass ihr Kind nicht so genial wie geglaubt ist. Eine Klasse, die wenige Wochen vor der Klassenreise beschließt, die Reise doof zu finden. Zum letzten Punkt musste ich mir sagen lassen: Das sei kein Einzelfall. Offensichtlich bekommt eine kritische Masse an Schülern kurz vor der Reise solches Muffensausen, dass sie Panik schieben und dann lieber meckern. Unglaublich, das gab’s früher nicht. Wir haben unseren Lehrern ’ne Flasche Wein als Dankeschön geschenkt, dass sie mit uns nach Rom fuhren. Das scheint heutzutage eher unüblich zu sein – das Wörtchen „Danke“ ist ja eh unüblich. Schüler, die computerspielsüchtig sind. Und zwar so sehr, dass sie nicht zum Betriebspraktikum auftauchen und ich sie zu Hause aufgabeln muss. Zitat: „Ich hab bis 13 Uhr geschlafen und dann dachte ich, dass es sich ja eh nicht mehr lohnt, zur Arbeit zu gehen.“ Oh, was für eine Neuerung, dass Arbeit bis 18 Uhr geht, nicht nur bis 14 Uhr! Nunja. Auch hier halte ich mich immer an der Hoffnung fest: Wenigstens hat er irgendwas gelernt! Schüler, die zwei Tage vor Ende des Praktikums gefeuert werden, weil sie beim Klauen erwischt werden, scheinen daher kaum was gelernt zu haben. Und immer wieder stehe ich da und frage mich: WARUM? Und warum das alles in einer Gymnasialklasse? Kann ich nicht wenigstens mal einen dieser Pappenheimer irgendwie erreichen, irgendwas verbessern? Ein Schüler fehlt bei der Klassenarbeit. Ich treffe ihn am Montag danach und frage nach einem Attest. Jaja, vorhanden, gibt er mir morgen. Ich teile ihm mit, dass er dann auch morgen nachschreibt. Dienstag fehlt er, damit versäumt er eine Gruppenprüfung und den Nachschreibetermin. Ich überlege, die Gruppe dennoch zu prüfen, was zu strahlenden Gesichtern bei seinen Mitstreiter führt. Als ich nun irritiert bin, erklärt man mir, das sei eine gute Idee, ihn eine Einzelprüfung machen zu lassen, das sei eben die gerechte Strafe. Oha, die Biester sind manchmal ehrlicher und fieser als ich selbst, das ist schon erfrischend.

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